Marienbad list from June 1916
The Belzer Rebbe Yissachar Dov Rokeach (I) in Marienbad
Letter from the famous author Franz Kafka to his friend Max Brod. Kafka is describing his meeting with Rebbe Yissachar Dov Rokeach (I).
The entire letter is in GERMAN !
18. Brief an Max Brod [Briefkopf: Marienbad, Schloß Balmoral und. Osborne, Mitte Juli 1916]
[Zum Briefkopf hinzugeschrieben: Wieder in der vollen Halle, es lockt mich. ]
„Lieber Max, danke für die Benachrichtigung, sie traf mich an einem Kopfschmerzentag, wie ich ihn wenigstens hier gar nicht mehr erwartet hätte. Trotzdem lief ich gleich nach dem Essen hin.
Ich werde das Ganze nur beschreiben, mehr als das, was man sieht, kann ich nicht sagen. Man sieht aber nur allerkleinste Kleinigkeiten und das allerdings ist bezeichnend, meiner Meinung nach. Es spricht für Wahrhaftigkeit auch gegenüber dem Blödesten. Mehr als Kleinigkeiten kann man mit bloßem Auge dort, wo Wahrheit ist, nicht sehn.
Zunächst war Langer unauffindbar. Es sind dort einige Häuser und Häuserchen zusammengedrängt, auf einer Anhöhe, die eine Verbindung der Häuser, die einem Besitzer gehören, nur durch halb unterirdische Treppen und Gänge zuläßt. Die Namen der Häuser sind zum Verwechseln eingerichtet: Goldenes Schloß, Goldene Schüssel, Goldener Schlüssel, manche haben zwei Namen, vorn einen und hinten einen andern, dann wieder heißt die Restauration anders als das zugehörige Haus, auf den ersten Anlauf kommt man also nicht durch. Später zeigt sich allerdings eine Ordnung, es ist eine kleine, nach Ständen geordnete Gemeinde, eingefaßt von zwei großen eleganten Gebäuden, Hotel National und Florida. Der goldene Schlüssel ist das ärmlichste.
Ich war also um ½8 vor dem Hotel National, in dem er wohnt. Langer erwartete mich. Es regnete selbst für diese Regenzeit außerordentlich stark. Gerade zu dieser Stunde hatte es vielleicht in den letzten 14 Tagen nicht geregnet. Langer behauptete, es werde gewiß aufhören, aber das tat es nicht, sondern regnete noch stärker. Langer erzählte, nur einmal habe es bei der Ausfahrt geregnet, im Wald dann aber gleich aufgehört. Diesmal hörte es aber nicht auf.
Wir sitzen unter einem Baum und sehen einen Juden mit einer leeren Sodawasserflasche aus dem Haus laufen. Der holt Wasser für den Rabbi, sagt Langer. Wir schließen uns ihm an. Er soll Wasser aus der Rudolfsquelle holen, die dem Rabbi verordnet ist. Leider weiß er nicht, wo die Quelle ist. Wir laufen im Regen ein wenig irre. Ein Herr, dem wir begegnen, zeigt uns den Weg, sagt aber gleichzeitig, daß alle Quellen um 7 geschlossen werden. »Wie können denn die Quellen geschlossen werden« meint der zum Wasserholen Bestimmte und wir laufen hin. Tatsächlich ist die Rudolfsquelle geschlossen, wie man schon von weitem sieht. Es ändert sich nicht, als man trotzdem näher geht. »Dann nimm Wasser aus der Ambrosiusquelle« sagt Langer »die ist immer offen.« Der Wasserholer ist sehr einverstanden und wir laufen hin. Tatsächlich waschen dort noch Frauen die Trinkgläser. Der Wasserholer nähert sich verlegen den Stufen und dreht die schon ein wellig mit Regenwasser gefüllte Flasche in den Händen. Die Frauen weisen ihn ärgerlich ab, natürlich ist auch diese Quelle seit 7 Uhr geschlossen. Nun so laufen wir zurück. Auf dem Rückweg treffen wir zwei andere Juden, die mir schon früher aufgefallen sind, sie gehn wie Verliebte neben einander, schauen einander freundlich an und lächeln der eine die Hand in der tief hinabgezogenen Hintertasche, der andere städtischer. Fest Arm in Arm. Man erzählt die Geschichte von den geschlossenen Quellen; die zwei können das nicht begreifen, der Wasserholer begreift es nun wieder auch nicht und so laufen die drei ohne uns wieder zur Ambrosiusquelle. Wir gehn weiter zum Hotel National, der Wasserholer holt uns wieder ein und überholt uns, außer Atem ruft er uns zu, daß die Quelle wirklich geschlossen ist.
Wir wollen, um uns vor dem Regen zu schützen, in den Flur des Hotels treten, da springt L. zurück und zur Seite. Der Rabbi kommt. Niemand darf sich vor ihm aufhalten, vor ihm muß immer alles frei sein, es ist nicht leicht, dies immer einzuhalten, da er sich oft überraschend wendet und es nicht leicht ist, im Gedränge schnell genug auszuweichen. (Noch schlimmer soll es im Zimmer sein, da ist das Gedränge so groß, daß es den Rabbi selbst in Gefahr bringt. Letzthin soll er geschrien haben: »Ihr seid Chassidim? Ihr seid Mörder.«) Diese Sitte macht alles sehr feierlich, der Rabbi trägt förmlich (ohne zu führen, denn rechts und links von ihm sind ja Leute) die Verantwortung für die Schritte aller. Und immer wieder ordnet sich die Gruppe neu, um ihm freie Blickrichtung zu geben.
Er sieht aus wie der Sultan, den ich als Kind in einem Doréee-Münchhausen oft gesehn habe. Aber keine Maskerade, wirklich der Sultan. Und nicht nur Sultan, sondern auch Vater, Volksschullehrer, Gymnasialprofessor u. s. f. Der Anblick seines Rückens, der Anblick der Hand, die auf der Hüfte liegt, der Anblick der Wendung dieses breiten Rückens - alles das gibt Vertrauen. Auch in den Augen der ganzen Gruppe ist dieses ruhige glückliche Vertrauen, das ich gut ahne.
Er ist mittelgroß und recht umfangreich, aber nicht schlecht beweglich. Langer weißer Bart, außergewöhnlich lange Schläfenlocken (die er auch an andern liebt; wer lange Locken hat, für den ist er schon gut gestimmt; er lobt die Schönheit zweier Kinder, die der Vater an den Händen führt, er kann aber mit der Schönheit nur die Locken meinen). Ein Auge ist blind und starr. Der Mund ist schief gezogen, es sieht gleichzeitig ironisch und freundlich aus. Er trägt einen seidenen Kaftan, der vorn offen ist; einen starken Gurt um den Leib; eine hohe Pelzmütze, die ihn äußerlich am meisten hervorhebt. Weiße Strümpfe und, wie L. sagt, weiße Hosen.
Der Belzer Rabbi Yissachar Dov Rokeach und sein Sohn Aharon Rokeach, und Begleitung verlassen das Hotel „Goldenes Schloss“, die Aufnahme vor dem „Haus Magdeburg“, im Hintergrung „Goldenes Schloss“, Fotografie ~1916-1920.
Vor dem Verlassen des Hauses vertauscht er den Silberstock mit dem Schirm. (Es regnet immerfort gleichmäßig stark und hat bis jetzt ½11 Uhr noch nicht aufgehört.) Der Spaziergang (zum erstenmal keine Ausfahrt, offenbar will er die Leute nicht im Regen in den Wald hinter sich ziehn) beginnt jetzt. Es gehn etwa 10 Juden hinter und neben ihm. Einer trägt den Silberstock und den Sessel, auf den sich der Rabbi vielleicht wird setzen wollen, einer trägt das Tuch, mit dem er den Stuhl abtrocknen wird, einer trägt das Glas, aus dem der Rabbi trinken wird, einer (Schlesinger, ein reicher Jude aus Preßburg) trägt eine Flasche mit dem Wasser der Rudolfsquelle, er hat sie offenbar in einem Geschäft gekauft. Eine besondere Rolle spielen im Gefolge die vier Gabim (oder ähnlich), es sind die »Nächsten«, Angestellte, Sekretäre. Der oberste der vier ist, wie Langer behauptet, ein ganz besonderer Schuft; sein großer Bauch, seine Selbstgefälligkeit, sein schiefer Blick scheinen dafür zu sprechen. Übrigens darf man ihm daraus keinen Vorwurf machen, alle Gabim werden schlecht, die dauernde Nähe des Rabbi kann man nicht ertragen, ohne Schaden zu nehmen, es ist der Widerspruch zwischen der tieferen Bedeutung und der ununterbrochenen Alltäglichkeit, die ein gewöhnlicher Kopfnicht ertragen kann.
Der Spaziergang geht sehr langsam vorwärts.
Der Rabbi kommt zunächst schwer in Gang, ein Bein, das rechte, versagt ihm ein wenig den Dienst, auch muß er anfänglich husten, achtungsvoll umsteht ihn das Gefolge. Nach einem Weilchen scheint es aber kein äußeres Hindernis zu geben, wohl aber beginnen jetzt die Besichtigungen und bringen den Zug jeden Augenblick zum Stillstehn. Er besichtigt alles, besonders aber Bauten, ganz verlorene Kleinigkeiten interessieren ihn, er stellt Fragen, macht selbst auf manches aufmerksam, das Kennzeichnende seines Verhaltens ist Bewunderung und Neugierde. Im Ganzen sind es die belanglosen Reden und Fragen umziehender Majestäten, vielleicht etwas kindlicher und freudiger, jedenfalls drücken sie alles Denken der Begleitung widerspruchslos auf das gleiche Niveau nieder. Langer sucht oder ahnt in allem tiefem Sinn, ich glaube, der tiefere Sinn ist der, daß ein solcher fehlt, und das ist meiner Meinung nach wohl genügend. Es ist durchaus Gottesgnadentum, ohne die Lächerlichkeit, die es bei nicht genügendem Unterbau erhalten müßte.
Das nächste Haus ist ein Zanderinstitut. Es liegt hoch über der Straße auf einem Steindamm und hat einen durch ein Gitter eingefaßten Vorgarten. Der Rabbi bemerkt einiges zum Bau, dann interessiert ihn der Garten, er fragt, was das für ein Garten ist. Ähnlich wie etwa der Statthalter vor dem Kaiser in ähnlichem Fall sich benehmen würde, rast Schlesinger (hebr. Sina genannt) die Treppe zum Garten hinauf, hält sich oben gar
Eintrag Franz Kafkas in die Kurliste, wohnhaft im „Schloß Balmoral“ 1916, Felice Bauer ist hier als Helene Bauer eingetragen, wollte sie unerkannt bleiben? Eher wurde der Name falsch abgeschrieben ... :
nicht auf, sondern rast sofort (alles im strömenden Regen) wieder herunter und meldet (was er natürlich schon gleich anfangs von unten erkannt hat), daß es nur ein Privatgarten ist, der zu dem Zanderinstitut gehört.
Der Rabbi wendet sich, nachdem er nochmals den Garten genau angeschaut hat, und wir kommen zum Neubad. Hinter dem Gebäude, wohin wir zuerst kommen, laufen in einer Vertiefung die Röhren für das Dampfbad. Der Rabbi beugt sich tief über das Geländer und kann sich an den Röhren nicht satt sehn, es wird Meinung und Gegenmeinung über die Röhren ausgetauscht.
Das Gebäude ist in einem gleichgültigen unkenntlichen Mischstil aufgebaut. Die unterste Fensterreihe ist in laubenartige, aber vermauerte Bogen eingebaut, welche im Scheitel einen Tierkopf tragen. Alle Bogen und alle Tierköpfe sind gleich, trotzdem bleibt der Rabbi fast vor jedem der 6 Bogen der Breitseite besonders stehn, besichtigt sie, vergleicht sie, beurteilt sie und zwar von der Ferne und Nähe.
Wir biegen um die Ecke und stehn jetzt an der Frontseite. Das Gebäude macht großen Eindruck auf ihn. Über dem Tor steht in goldenen Lettern »Neubad«. Er läßt sich die Inschrift vorlesen, fragt, warum es so heißt, ob es das einzige Bad ist, wie alt es ist u.s.w. Öfters sagt er, mit dem besondern ostjüdischen Staunen: »Ein schönes Gebäude«.
Schon früher hat er öfters die Dachtraufen beobachtet, jetzt da wir eng am Gebäude (wir haben die Front schon einmal auf der gegenüberliegenden Straßenseite passiert) zurückgehn, macht er eigens einen Umweg, um zu einer Dachtraufe zu kommen, die in einem durch einen Hausvorsprung gebildeten Winkel herunterführt. Es freut ihn, wie das Wasser drin klopft, er horcht, schaut die Röhre entlang nach oben, betastet sie und läßt sich die Einrichtung erklären“. (Hier bricht der Brief mitten im Brief bogen ab.)
die Benachrichtigung: Über die Anwesenheit des Belzer Rabbis - »jetzt wohl der Hauptträger des Chassidismus«, wie Kafka schreibt (F 666) - in Marienbad. (Das Städtchen Belz in Galizien war seit fast hundert Jahren der Sitz einer Dynastie chassidischer tsaddikim.)
Langer: Georg (Jiří) Mordechai Langer (1894-1943), Angehöriger einer assimilierten, tschechischsprechenden Prager Familie, war 1913 nach Belz aufgebrochen, wo er sich dem Anhang des Rabbis anschloß. Dieser »Westjude, der sich den Chassidim assimiliert hat« (T 468), hatte Kafka 1915 kennengelernt und blieb viele Jahre lang mit ihm befreundet. Siehe hierzu vor allem Ritchie Robertson, Kafka. Judaism, Politics, and Literature, Oxford 1985, S. 176-178
Nu? Translation please?
ReplyDeleteB"H
ReplyDeleteDon't you know Yiddish ???
I am not going to translate the whole Kafka letter. Maybe you can put it into Google.:-)
Kafka is basically describing how he saw the Belzer Rebbe in Marienbad in 1916. That he looked like a sultan with all his clothes.
The Rebbe left his house and walked through Marienbad. He was coughing but his followers were patiently waiting. Then he walked from house to house and seemed to be interested in construction and style.